Steve Reich

Man hat Steve Reich vor kurzem einmal als „größten lebenden Komponisten Amerikas“ (The Village Voice) bezeichnet. Von den frühen, auf Sprachaufzeichnungen beruhenden Tonbandstücken ‚It’s Gonna Rain’ (1965) und ‚Come Out’ (1966) bis zu der gemeinsam mit der Videokünstlerin Beryl Korot geschaffenen Digitalvideooper ‚Three Tales’ (2002) bezieht Reich in sein Schaffen nicht nur Aspekte der klassischen Musik des Abendlandes, sondern auch Strukturen, Harmonien und Rhythmen nichtabendländischer und amerikanischer Volksmusik und insbesondere des Jazz mit ein. „Es gibt nur eine Hand voll zeitgenössischer Komponisten, die rechtens von sich behaupten können, den Gang der Musikgeschichte verändert zu haben, und Steve Reich gehört dazu“, schrieb The Guardian.

Steve Reich wurde in New York geboren, wuchs in New York und Kalifornien auf und schloss 1957 sein Studium der Philosophie an der Cornell University mit Auszeichnung ab. In den darauf folgenden beiden Jahren studierte er bei Hall Overton Komposition. Von 1958 bis 1961 besuchte er die Juilliard School of Music und studierte dort bei William Bergsma und Vincent Persichetti. 1963 machte er am Mills College, wo er mit Luciano Berio und Darius Milhaud arbeitete, seinen Master of Arts in Musik.

Ein Stipendium des Institute for International Education ermöglichte es ihm, sich im Sommer 1970 am Institute for African Studies an der Universität von Ghana in Accra eingehend mit Trommeltechniken zu befassen. 1973 und 1974 setze er sich im Rahmen der American Society for Eastern Arts in Seattle und Berkeley, Kalifornien mit den balinesischen Ensembleformen Gamelan Semar Pegulingan und Gamelan Gambang auseinander. Von 1976 bis 1977 beschäftigte er sich in New York und Jerusalem mit den traditionellen Formen des Sprechgesangs für Texte der hebräischen Bibel.

Steve Reich gründete 1966 ein eigenes Ensemble, das ursprünglich nur drei Mitglieder umfasste, aber schnell auf über 18 Mitglieder anwuchs. Seit 1971 haben „Steve Reich and Musicians“, so der Name der Formation, zahlreiche internationale Tourneen unternommen und vor ausverkauften Häusern von der Carnegie Hall bis zum Bottom Line Cabaret gespielt.

1999 wurde Reich für sein Stück ‚Music for 18 Musicians’ mit einem Grammy für Best Small Ensemble ausgezeichnet. Im Juli 1999 widmete das Lincoln Center Festival dem Komponisten eine umfangreiche Retrospektive, nachdem bereits 1988 das South Bank Centre in London eine ähnliche Reihe von Konzerten mit Werken Steve Reichs gebracht hatte.

2000 erhielt Reich den Schuhmann-Preis der Columbia University, das Montgomery-Stipendium des Dartmouth College, die Regent’s Lectureship der University of California in Berkeley sowie ein Ehrendoktorat des California Institute of the Arts und wurde von der Zeitschrift Musical America zum Komponisten des Jahres gewählt.

Steve Reichs 1988 entstandenes Stück ‚Different Trains’ markierte eine neue Kompositionsmethode, die in seinen Werken ‚It’s Gonna Rain’ und ‚Come Out’ ihren Ursprung hat, in denen Aufzeichnungen von Gesprochenem das musikalische Material für die Instrumente darstellen. Die New York Times pries ‚Different Trains’ als „Werk einer dermaßen erstaunlichen Originalität, dass der Begriff Durchbruch die einzig passende Bezeichnung sein dürfte […], ein emotional absolut quälendes Stück“. 1990 wurde Reich für die Nonesuch-Aufnahme von ‚Different Trains’ durch das Kronos-Quartett mit dem Grammy für die beste zeitgenössische Komposition ausgezeichnet.

‚The Cave’, das Musiktheatervideostück von Steve Reich und Beryl Korot, das die biblische Geschichte von Abraham, Sarah, Hagar, Ismael und Isaak behandelt, wurde vom Time Magazine als „faszinierendes Schlaglicht auf die Zukunft der Oper im 21. Jahrhundert“ gefeiert. John von Rhein schrieb in der Chicago Tribune über die Premiere in Chicago: „ Die Techniken, die in diesem Werk zum Einsatz gelangen, haben das Potenzial, die Oper als lebendige künstlerische Form in tausendfacher Hinsicht zu bereichern. […] The Cave beeindruckt einen letzten Endes als mächtiges und fantasievolles Werk des Hightech-Musiktheaters, das einen fruchtbaren Dialog zwischen der düsteren Gegenwart und weit zurückliegenden Zeiten eröffnet und uns alle dazu auffordert, unser gemeinsames kulturelles Erbe einer Neueinschätzung zu unterziehen.“

Im Lauf der Jahre wurde Steve Reich mit zahlreichen Auftragsarbeiten betraut. So entstanden Werke für das Holland Festival, das Barbican Centre London, die San Francisco Symphony, die Rothko Chapel, die Wiener Festwochen, das Berliner Hebbel-Theater, für den Gitarristen Pat Metheny für die Brooklyn Academy of Music, das Spoleto Festival USA, Charleston/South Carolina, den WDR Köln, Settembre Musica, Turin, für den Klarinettisten Richard Stoltzmann, für die Fromm Music Foundation, das Saint Louis Symphony Orchestra, für Betty Freeman, für das Kronos-Quartett und für das Festival d’Autonome von Paris.

Steve Reichs Kompositionen wurden überall auf der Welt von den wichtigsten Orchestern und Ensembles aufgeführt, u. a. vom London Symphony Orchestra unter Michael Tilson Thomas, vom New York Philharmonie unter Zubin Mehta, von der San Francisco Symphony unter Michael Tilson Thomas, vom Ensemble Modern unter Bradley Lubman, vom Ensemble Intercontemporain unter David Robertson, von der London Sinfonietta unter Markus Stenz und Martyn Brabbins, vom Theater of Voices unter Paul Hillier, vom Schoenberg Ensemble unter Reinbert de Leeuw, vom Brooklyn Philharmonie Orchestra unter Robert Spano, von der Saint Louis Symphony unter Leonard Slatkin, vom Los Angeles Philharmone unter Neal Stulberg, der BBC Symphony unter Peter Eötvös sowie dem Boston Symphony Orchestra unter Michael Tilson Thomas.

Verschiedene bekannte Choreographinnen und Choreographen haben für die Musik Steve Reichs Tanzstücke erarbeitet, u. a. Anne Teresa de Keersmaeker, Jerome Robbins für das New York City Ballet (Eight Lines) und Laura Dean, für die der Komponist das Werk Sextet schrieb. Zu den wichtigen Choreographinnen und Choreographen, die mit Reichs Musik gearbeitet haben, zählen unter anderen auch Eliot Feld, Alvin Ailey, Lar Lubovitch, Maurice Bejart, Lucinda Childs, Siobhan Davies und Richard Alston.

1994 wurde Steve Reich zum Mitglied der American Academy of Arts and Letters, 1995 zum Mitglied der bayerischen Akademie der Schönen Künste und 1999 zum Commandeur de l‘ ordre des Arts et Lettres ernannt.